Ein Nachruf an Dr. Gerhard Illing

Ein Nachruf an meinen Vater,  einen außergewöhnlichen Menschen und den Gründer der Saazer Museums Stiftung in Schweinfurt. Dr. Gerhard Illing 1928-2018

Nachruf Dr. Illing

Dr. Gerhard Illing

Er  wurde am 5. Juli 1928 in Puschwitz (heute Buškovice bei Podbořany) das ist ein Ortsteil von Podersam geboren. Sein Vater entstammt einer alteingesessenen Bauernfamilie aus Puschwitz. Er studierte und wurde Fachlehrer, seine erste Anstellung war in der Mädchen-Bürgerschule in Podersam. Seine Mutter entstammte einer angesehenen Saazer Familie, sie war auch Lehrerin.

Mit seinen Eltern und jüngeren Bruder wohnte er bis 1936 in Puschwitz und ein Jahr in Podersam. Im Jahr 1936 übersiedelten sie nach Saaz. Hier besuchte er die 5-Klassen-Volksschule und ab 01. September 1939 die Oberschule für Jungen. Bis Jahresende 1943 ging er in Saaz zur Schule.

Im  Januar 1944 wurden er mit sieben Mitschüler des Jahrganges 1928 zur Luftabwehr nach Brüx (heute Most)  einberufen. Als Luftwaffenhelfer war er bis zum 31. Januar 1945  Bomber als Seitenrichtkanonier zur Verteidigung des Hydrierwerkes in Brüx. Am 06. Mai 1945 kam er nach Hause und traf seine Eltern und Bruder, die alle unversehrt den Krieg überstanden hatten. Auch das Haus und die Wohnung waren unbeschädigt. Am Mittwoch, den 09. Mai kamen die russischen Truppen zu uns.

Etwa eine Woche später wurde aber sein Vater mit einem Pkw abgeholt zu einer „Besprechung“ in das Saazer Rathaus. Von dieser Besprechung kam mein Vater nie zurück. Er war in der Ersten Tschechoslowakischen Republik Abgeordneter im Prager Parlament für die Sudetendeutsche Partei, bis zum Anschluss des Sudetenlandes an das Deutsche Reich. Nachher im Protektorat Böhmen und Mähren Schulinspektor in Prag. Er wurde zum Verhör nach Rakonitz, etwa 50 km vor Prag gebracht und dort wahrscheinlich erschossen. Er teilte dieses Schicksal mit vielen ehemaligen Abgeordneten der SdP.

Im Juni 1945 kam er mit seiner Mutter in das Lager in Saaz und er wurde zu einem Transport für den Kohlebergbau zugeteilt, der ging nach Kladno bei Prag in der Schacht Max und musste 12 Stunden untertags arbeiten. Nach einer missglückten Flucht mit seinen Freund Hans Jäckel und vielen Misshandlungen ist er mit weiteren Häftlingen nach Saaz entlassen worden.

Dort traf er seine Mutter und seinen jüngeren Bruder wieder. Sie mussten dann noch einige Monate in der Landwirtschaft arbeiten. 

Etwa im März 1946 wurden sie nach Saaz gebracht.  Am Sonntag, 12. Mai 1946 mussten sie zum Bahnhof marschieren. Mit nur 50 kg Handgepäck wurden sie in Viehwaggons verladen und eingeschlossen, 30 Personen pro Waggon, ohne Verpflegung, ohne etwas zu trinken setzte sich der Zug kurz vor Mitternacht in Richtung Westen in Bewegung.

Nachruf Dr. Illing

Schweinfurt 1946

Und so kam er zerlumpt und ohne Vater mit seiner Mutter und Bruder in das zerbombte Schweinfurt. Dort gelang es ihm seine Schulbildung zu beenden und Chemie zu studieren.

In Schweinfurt machte mein Vater die beste  Entdeckung seines Lebens, er traf meine Mutter Margarete, am Stadtrand von Schweinfurt auf eine Maininsel. Beide waren gute Tänzer und genossen die Jahre nach dem Leid und den Entbehrungen des Krieges beim Tanz, der in den Gaststätten und Sälen von Schweinfurt, stattfand. Gerne erinnere ich mich in späteren Jahren, meine beiden Eltern beim Tanzen zu betrachten.

Inzwischen hatte mein Vater promoviert und sich auf dem Gebiet der pharmazeutischen Chemie bei BASF in Neulingen mit der Familie niedergelassen. Durch die Fa. BBC, später Resopal gelangt die Familie nach Groß-Umstadt, wo mein Vater bereit selbständig  mit Abfüllen von Methanol als Frostschutzmittel in der heimischen Garage begann.

Es folgt die Gründung eines eigenen Kunststoff- verarbeitenden Betriebes in Groß-Umstadt, welcher heute in ausgebauter Form unter der Leitung der EMS-Chemie, erfolgreich fortbesteht. Durch seine Kenntnisse aus der pharmazeutischen Chemie, gelang es meinem Vater, zahlreiche Patente anzumelden, indem er Spezialkunststoffe, hochschlagzähe, hitzebeständige Legierungen, entwickelte.

Meine Mutter bestritt den Haushalt, Erziehung der Kinder und arbeitete mit im Betrieb. Ohne diesen Rückhalt und Ihre stetigen berechtigten Einwände auf die immer mehr und größer werdenden Pläne meines Vaters, hätte dieser nicht dieses kleine international vernetzte Unternehmen aufbauen können und an die heutige EMS- Chemie, weitergeben können.

Nachruf Dr. Illing

Dr. Illing bei der Eröffnung des Museums

Bis zu seinem Tod kurz nach seinem 90zigsten Geburtstag, verbrachte er viel Zeit mit der Gründung der Stiftung Saazer Heimatmuseum in Schweinfurt.

In unzähligen Gesprächen, Begegnungen, Anstößen zur Errichtung eines Mahnmals in Saaz, Erinnerungsplätze bereichernd, in Groß-Umstadt und Saaz, konnte er eine Vielzahl der Erlebnisse, die er in seinem Unternehmerischen Leben hintenanstellen musste, nachholen und aufarbeiten.

Die Sinnlosigkeit von Krieg, das Entmenschlichte, Verletzten und Töten von Menschen aufgrund ihrer Rasse, all dies verabscheute er aus eigener Erfahrung und Erkenntnis gegen Ende seines langen und gesegneten Lebens.

In den Jahren vor dem Tod meines Vaters, saß jener häufig an den Abenden auf seinem Balkon und betrachtete die Sterne, mit der Gewissheit, dass sich Lebensenergie nicht einfach auflöst mit dem Lebensende, sondern, so war er fest überzeugt, weiterbestehen bleibt.

 Das möchte ich gerne für mich aufbewahren. In Gedenken an meine Vorfahren, und das Glück in relativer Abwesenheit von Krieg aufwachsen zu dürfen, wünsche ich den mir nachfolgenden Generationen, dass auch Sie von Krieg und Zerstörung nur aus den Geschichten erfahren können.

Mit dem Zitat von Willy Brand, “der Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts,“ beende ich meinen Nachruf auf einen außergewöhnlichen Menschen mit seiner wundervollen Frau.

VEIT  ILLING  im Juli 2025

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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