Frau Erika Storey, geborene Schroll aus Saaz ist die Autorin des Buches „A Childhood in Bohemia and the flight to the West” erschienen in England und den USA in 2009. Es ist ein wertvoller Beitrag und Zeitzeugenbericht der schrecklichen Ereignisse von 1945/46 in Saaz, eingefügt in die Geschehnisse nach 1918 in englischer Sprache. Damit wurden in diesen Ländern diese Nachkriegsvorkommnisse bekannt gemacht.
Erika Storey mit ihrer Tochter auf dem Saazer St. Antonius Friedhof
Frau Erika Schroll wurde am 29.Dezember 1936 in Saaz geboren und lebte in Saaz mit Ihrer älteren Schwester Elisabeth, geboren am 25. 10.1932 und ihren Eltern Ferdinand Schroll (*14.6.1908 / + 13.10 1990) und Josefine Schroll geborene Soukup (* 29.12. 1901 / + 1.07.1992) bis 1938 am Lorettoplatz. Danach zogen sie um in ein neues Haus in die Trnowaner Straße und wohnten dort gegenüber dem St. Antonius Friedhof bis zu Ihrer Vertreibung nach dem verlorenen Krieg 1945.
Am 13.Juni 1945 musste sie mit Ihrer Schwester und Mutter mit wenig Gepäck, wie alle deutschen Frauen und Kinder in Saaz die Wohnung verlassen. Sie wurde ohne ihren Vater, der als Soldat noch nicht zurück gekommen war, in die nahe gelegene SS-Kaserne getrieben. Im Lager traf die Mutter mit ihren beiden Töchtern ihre ältere Schwester und Tante Marie Stupka, geb. Soukup. Den Aufenthalt in dem Lager empfanden sie als Hölle. Es waren einige Tausend Frauen und Kinder auf engstem Raum untergebracht, die hygienischen Verhältnisse waren katastrophal, viele mussten auf dem nackten Beton- oder Ziegelfußboden schlafen, sie hungerten und litten Durst und wurden peinlichen Untersuchungen unterzogen. Viele waren krank auch ihre Schwester Elisabeth, täglich starben Kleinkinder.
Am 28.06.1945 wurde sie mit ihrer Mutter und Schwester mit über tausend anderen Lagerinsassen zum Bahnhof gebracht, in offene Kohlewaggons geladen und über Nacht
nach Georgenthal im Erzgebirge transportiert. Von dort ging es zu Fuß in mehrtägigen Märschen über das Erzgebirge in die Silber- und Bergmannstadt Freiberg in Sachsen. Nach tage- und nächtelangen Aufenthalten in Notunterkünften (Turnhalle) wurden sie in einem ehemaligen Gasthaus lagermäßig untergebracht. Ihre Schwester erkrankte ernstlich an einem rheumatischen Fieber, konnte aber 6 Monate im Krankenhaus versorgt werden und überlebte so die Wintermonate 45/46.
Nach einem neunmonatigen Lageraufenthalt wurde Frau Schroll mit ihren beiden Töchtern in ein Zimmer ohne Heizung in der Bergstiftgasse in Freiberg eingewiesen. Dort hungerten und froren sie zwei Jahre, wurden krank und magerten zu Skeletten ab- die Schwester musste wieder im Krankenhaus behandelt werden.
In zerlumpter Kleidung mit Holzschuhen fand sie ihr Vater 1947, der nach mehrjähriger Gefangenschaft in Jugoslawien nach. Westdeutschland entlassen wurde. Auch er hatte schreckliche Jahre überlebt. Über das „Rote Kreuz“ erfuhr er den Aufenthalt seiner Familie in der „Ostzone“. Es war ein erschütterndes Wiedersehen. Der Vater weinte als er nach Jahren seine Frau und beiden Töchter mit ihren Skelett ähnelnden Körpern in Freiberg wieder sah. Er wollte mit seiner Familie nach Bayern umsiedeln, das wurde nicht genehmigt. Als Ernährer der Familie sollte er zur Familie nach Sachsen ziehen. Da gab es für ihn keine entsprechende Berufstätigkeit. So hat man beschlossen, dass Frau Schroll, die Mutter mit den beiden Töchtern illegal über die Zonengrenze nach Bayern ging. Das geschah im Sommer 1947.
Wie in ihrem Buch beschrieben, wurde bei dem Überschreiten der Zonengrenze bei Hof auf sie geschossen, aber ihre Mutter meinte in Sachsen würden sie sowieso sterben und marschierte mutig weiter. Die Grenzposten brachten es wahrscheinlich doch nicht übers Herz die Mutter mit ihren beiden Kindern zu erschießen. Auf bayerischer Seite trafen sie ihren Vater. Aber das glückliche Ende war noch nicht in Sicht. Sie mussten zunächst in ein Auffanglager in Regensburg um eine Aufenthaltsgenehmigung und Lebensmittelkarten zu bekommen. Als der Kommandant sie sah, teilte er ihnen mit, dass sie wegen Überfüllung des Lagers mit dem nächsten Zug wieder nach Sachsen zurück transportiert werden.
Die Verzweiflung war enorm, der Vater einer Ohnmacht nahe, da nahm die Mutter ein Fläschchen mit Hoffmannstropfen aus ihrer Tasche, die der Kommandant als Gift betrachtete. Er sprang über sein Pult und rief nicht schon wieder er hätte schon zuviel dergleichen gesehen und entließ uns ohne Aufenthaltsgenehmigung. Der Vater nahm seine Familie mit zu seinen Eltern, die als Heimatvertriebene in einem kleinen Dorf in Niederbayern wohnten. Dort konnten die vereinigte Familie zunächst in einem Zimmer bei einem Bauern wohnen, angewiesen auf die Barmherzigkeit des Bauern, der sie monatelang ohne Lebensmittelmarken mit durchfütterte.
Es waren beschwerliche Jahre. Ihre Schwester starb 1950 an einem Herzleiden. Eine Herzklappenoperation konnte aus Kostengründen nicht durchgeführt werden. Erika ging bis 1952 zur Schule in das Nachbarsdorf und konnte durch Erholungsaufenthalte die Folgen ihrer Unterernährung überwinden. 1953 erhielt der Vater eine Anstellung bei der Bahn in Regensburg. Erika, jetzt 15 jährig, ging in Regensburg in die Handelsschule, bekam nach einer Lehre eine Anstellung als Sekretärin und Buchhalterin bei dem Zeitschriftenverlag Dallmayer. Die lange Leidenszeit war überwunden und es konnte endlich ein normales Leben beginnen.
Erika ging, wie das zu dieser Zeit öfters geschah, 1958 als „au pair Mädchen“ nach England. Dort lernte sie einen Lehrer kennen, den sie Ende 1960 in Regensburg heiratete. Sie gingen zurück nach England, bekamen in den darauf folgenden 10 Jahren 4 Kinder: Christine, Joseph Marion und Ellen. Die älteste Tochter Christine zog 1981 nach Deutschland, heiratete in Augsburg und lebt seitdem mit zwei Kindern dort.
1987 verstarb plötzlich Erikas Mann.1990 ihr Vater und 1992 ihre Mutter. Es waren wieder leidvolle Jahre. Während dieser Zeit schrieb sie das Buch aufgrund ihrer sehr guten Sprachkenntnisse in englisch, weil in den englisch sprechenden Ländern wenig bekannt ist was im Krieg und nach dem Kriegsende in Europa und hier speziell in Böhmen geschah. Mit einbezogen wurden die historischen Ereignisse zurück bis 1918 dem Ende des ersten Weltkrieges, um zu verstehen wie es zum zweiten Weltkrieg kam und den schrecklichen Ereignissen, die Millionen von Menschen und vor allem die Mütter und ihre Kinder widerfahren ist.
Dr. Gerhard Illing